Die Eibe – Urbaum, Weltenbaum
Die Eibe – Urbaum, Weltenbaum, Hüterin des Lebens
Artikel von Fred Hageneder in NewsAge, Januar 2008
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Die Eibe – Urbaum, Weltenbaum, Hüterin des Lebens
Artikel von Fred Hageneder in NewsAge, Januar 2008
Alles Leben ist heilig
Der Weltenbaum oder Baum des Lebens ist zweifellos eines der ältesten Symbole der Einheit von Mensch und Natur. In ihm vereinen sich alle Ströme des Lebens, ja des Seins überhaupt, zu einem Organismus, der alle Lebensformen – Pflanze, Tier, Mensch – als seine Blätter, Blüten oder Früchte hervorbringt. Der Baum des Lebens ist eine Manifestation der göttlichen Kräfte. Er ist heilig, und weil alles Teil von ihm ist, ist alles Leben heilig. Dies könnte man auch als den Urgedanken der Ökologie bezeichnen, und er ist mindestens so alt wie die Höhlenmalereien der Mittleren Steinzeit! Das mythologische Bild spricht das Herz an: Man schützt das Leben aus Liebe, und nicht aus eigensüchtiger Vernunft ("Dann müssen wir wohl langsam mal die Erde retten, wenn wir überleben wollen!").
In der Jungsteinzeit und Bronzezeit blühte der Baum des Lebens erst richtig auf. In vielen alten Kulturen Eurasiens erscheint er als die äußere Form einer großen Göttin, die immer die jeweilige Göttin der Geburt ist, und oft auch diejenige des Todes, denn Geburt und Tod sind die beiden zusammengehörenden Tore zwischen Diesseits und Jenseits. Im Altertum war der Glaube an Wiedergeburt nicht etwa auf Kelten und Inder beschränkt, sondern universal. Wie die Sonne pendelten die Seelen durch Lebensabschnitte in der Oberwelt und in der Unterwelt, immer geleitet und behütet von der Göttin, die den Geist des Lebensbaumes darstellte. Mögen die Zweige des Baumes im Wind der Zeiten rauschen, im Inneren des Stammes herrscht Stille. Die Mitte des Weltenbaumes ist die Weltenachse, um die die Welt sich dreht, die Nabe des Rades der Wiedergeburten, die das Tor zur Ewigkeit ist.
Die Wiederentdeckung des Lebensbaumes
Ebenfalls still stand allerdings auch die religionsgeschichtliche Forschung zum Weltenbaum. Ende des 19. Jahrhunderts hatte man die Parallelen zwischen dem nordischen Weltenbaum Yggdrasil und der Baumsymbolik des (ur)alten Orients entdeckt – und mit dem Begriff "Baum des Lebens" aus der Bibel verknüpft. Seit knapp 50 Jahren jedoch hat es nichts wesentlich Neues mehr über die relativ wenigen uns erhaltenen Fragmente der Baummythologie zu sagen gegeben. Das ändert sich nun durch eine Vielzahl neuer Erkenntnisse aus der Eibenforschung, und es stellt sich vor allem die Frage, ob der Baum des Lebens nicht nur ein abstraktes philosophisches Konzept war sondern ein "lebendiges" Vorbild hatte.
Die Eibe (Taxus baccata L.) ist auf der gesamten Nordhalbkugel verbreitet. Sie ist die älteste Baumart Europas – die Gattung geht bis in das Jura zurück, die Zeit der Dinosaurier! Daher wird sie von Botanikern mitunter Urbaum genannt. Bis auf das rote Fleisch ihrer beerenartigen Früchte sind alle Teile des Baumes giftig. Das mag zwar viele überraschen, paßt aber eindeutig auf das Profil des Lebensbaumes, von dessen Früchten z.B. in indischer Überlieferung der Rauschtrank Soma gewonnen wurde. Unter den Eibengiften befinden sich Alkaloide (eine Stoffgruppe, die in vielen bewusstseinsverändernden Drogen anzutreffen ist), und kein anderer immergrüner Baum Eurasiens hat saftige süße Früchte. Außerdem verhält sich die Eibe hier wie das nicht von der Seite des Weltenbaumes wegzudenkende Symbol der Schlange: Auch Schlangengift kann Leben oder Tod bedeuten, und daher findet sich die Schlange heute noch als weltweites Emblem der Medizin. Aus der Eibe gewinnt man heute tumorhemmende Mittel, die seit ihrer Zulassung 1992 die Krebsbehandlung weltweit und in großem Stil verändert haben.
Die Eibe ist in vielerlei botanischer und ökologischer Hinsicht ein ganz ungewöhnlicher Baum, in diesem Zusammenhang am bedeutsamsten sind jedoch ihre enorme Lebenserwartung und ihre einzigartige Fähigkeit zur Regeneration. Eiben wachsen extrem langsam und überdauern jede andere Baumart um ein Vielfaches (z.B. ist kaum eine der "tausendjährigen" Eichen Deutschlands älter als 600 Jahre). Nach einigen Jahrhunderten beginnen die Eibenstämme, hohl zu werden, was aber, im Gegensatz zu anderen Baumarten, kein Zeichen der letzten Lebensphase ist! Während andere Bäume sterben, können sich bei der Eibe in diesem Abschnitt ihres Lebenszyklus sogenannte Innenwurzeln bilden, die vom oberen Teil des hohlwerdenden Stammes durch diesen herabwachsen, sich im Boden verankern und schließlich zu Innenstämmen werden, die nach und nach die grüne Krone des alten Baumes "übernehmen". Wenn Jahrhunderte später die fragile Hülle des ursprünglichen Stammes vollständig weggebrochen ist, steht ein erneuerter Baum da, der nur wenige Jahrhunderte alt wirkt und dem man seine Jahrtausende nicht ansehen kann. Ein uraltes Wesen in einem neuen Körper!
In Deutschland und dem restlichen Zentraleuropa kann dies leider nicht mehr beobachtet werden, da sämtliche Eiben des 13. bis 16. Jahrhunderts dem Export für die Langbögen der englischen Armee zum Opfer fielen – eine ökologische Katastrophe, von der sich die Eibenbestände im dicht besiedelten Europa bisher nicht wieder erholen konnten.
Natürlich haben Menschen die einzigartige Regenerationskraft der Eibe schon in grauer (farbiger?) Vorzeit bemerkt, und so wurde die Eibe ihnen nachweislich zu einem Symbol der Selbsterneuerungskraft der Natur, der Wiedergeburt des Lebens. Bis zurück ins Paläolothikum reichen die Darstellungen von Eibenzweigen in Verbindung mit dem Schoß der Frau als dem heiligen Tor vom Jenseits in das Diesseits. Auch in späteren Zeitaltern bleibt die Eibe vornehmlich mit Göttinnen der Geburt und Wandlung verbunden, z.B. mit Kybele, Artemis/Diana, Aphrodite/Venus, Persephone und Demeter.
Wie im alten Griechenland die Eibe der heilige Baum der Schicksalsgöttin und ihrer Vollstreckerinnen (der Moiren und Furien) war, so ist sie im nordischen Mythos eng mit den Nornen, den Weberinnen des Schicksals, verbunden. Sie war der Baum der nordischen Göttin Freyja, die wie ihre orientalischen Entsprechungen das Geheimnis der Erneuerung kannte und die Fäden von Leben, Tod und Wiedergeburt in der Hand hatte. In einer späteren Kulturepoche "übernahm" der Schamanengott Odin den Baum, in dem er auf seine berühmte neuntägige Visionssuche ging, von der er die Runen den Menschen brachte. Die eigentliche zu Yggdrasil gehörige Gottheit war jedoch Heimdallr, dessen Name "Weltenbaum" bedeutet, und der laut den isländischen Quellen aus neun Eibenwurzeln (ividiur) hervorgegangen war. Diese werden als neun göttliche Schwestern beschrieben, was wiederum an die neun griechischen Musen, "Berggöttinnen", erinnert (in Mittelmeerraum kommen Eiben nur in den Bergen vor). Wie die römische Diana und die östliche Aphrodite ist die nordische Göttin Iduna im Besitz der Früchte der ewigen Jugend. Dies waren keine "Äpfel" im heutigen Sinn – die wurden in Germanien erst durch die Römer eingeführt –, bis ins Mittelalter nannte man alle roten Früchte mitunter Äpfel, also auch die Früchte der Eibe. Iduna war eine Manifestation von Freyja und die Tochter von Iwaldi, "der in der Eibe waltet".
Kein Wunder also, dass unser Wort "Eibe" vom althochdeutschen iwe, iwa stammt, was eine Umkehrung von ewi, ewa, "Ewigkeit", ist. Und in solch weit voneinander entfernten Regionen wie Japan, Nordindien und Georgien im Kaukasus hieß die Eibe "Baum Gottes". In hohlen Eiben fanden im Altertum auch geistige Wiedergeburten, sprich Initiationen, statt. Das von der "ewigen Mutter" geborene göttliche Kind hieß z.B. im alten Kreta Zeus Epirnytios ("der Göttliche, über die Pflanzen gesetzte") und im nördlich an Griechenland angrenzenden Thrakien Dionysos (von dios, "göttlich", und nysos, "Baum").
Der Weihnachtsbaum
Erstaunlicherweise ist die Eibe den ganzen Winter über (bis –8ºC) fähig, Photosynthese zu betreiben. Um Mittwinter ist die Eibe der einzige europäische Baum, in dem noch ein nennenswerter Stoffwechsel stattfindet, während alle anderen Pflanzen "schlafen". So finden wir denn auch in den alten angelsächsischen Bauernkalendern die Eibenrune an der Position der Wintersonnenwende. Zu dieser fand einst das wichtige Initiationsfest Modraneht (angelsächs. "Mutternacht") statt. Dieser Brauch ging zwar im christlichen Zeitalter verloren, aber was sich durchsetzte, war das Weihnachtsfest und der alte Brauch, unter den heiligen Baum Geschenke zu legen. Dieser Brauch findet sich erstmalig bei den Hethitern (in der Türkei vor knapp 3000 Jahren) als Teil ihrer Fruchtbarkeitsriten zum Jahresbeginn: Symbole des Glücks, der Gesundheit und des Wohlstands wurden in kleinen Schafsledersäckchen in die Zweige des heiligen eya-Baumes, der Eibe, gehangen. Damals ging der Mensch freilich noch zum Baum, anstatt ihn abzuschlagen, um ihn ins eigene Heim zu holen. (Die Eibe ist übrigens in Deutschland und Österreich vollständig geschützt.)
In diesem Sinne wünsche ich allen eine gesegnete Weih-Nacht.
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