FRED HAGENEDER’S GATEWAY TO THE MEANING OF TREES IN CULTURE AND CONSCIOUSNESS

Gaia – Eine Einführung

 

Die

 

Gaia – Eine Einführung

Fred Hageneder, Februar 2014

"Es wäre falsch, sich das Leben als etwas vorzustellen,
das unabhängig von der Erde existiert."
Tim Flannery, Ökologe [1]

"Der eigentliche Wert des Waldes als selbstregulierendes System, das für alles Leben in seiner Region – und in gewissem Grade der ganzen Erde – die erforderlichen klimatischen Bedingungen schafft, entgeht uns völlig. Ohne die Bäume gibt es keinen Regen, und ohne den Regen keine Bäume. Wir müssen nicht Weise und Heilige werden, um zu erkennen, was wirklich in unserem Interesse ist. Lassen wir den Wald einfach wachsen und für sich selbst sorgen, dann haben wir allem übrigen Leben auf der Erde gegeben, was wir ihm schuldig sind."
James Lovelock [2]

 

Wälder sind lebenswichtige Organe des Planeten. Bäume existieren nicht, um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um Teil zu sein sowohl von komplexen Ökosystemen als auch des Stoffwechsels des Planeten als Ganzem.

In der Schule erzählte man uns, dass die Erde eine Felskugel sei, die Ozeane trägt und von einer dünnen Schicht Luft umgeben ist. Und die populärwissenschaftlichen Zeitschriften fahren damit fort, jenes Bild zu stärken, in dem das Leben eine Nische in der Urwelt fand und sich seither über Myriaden von "zufälligen" Evolutionsschritten zur Vielfalt des Lebens entwickelte, die wir heute kennen. Fälschlicherweise lernten wir, dass das Leben "günstige Nischen findet" und sich dann "an die Bedingungen anpasst". Das ist nur eine Seite der Wahrheit, und sie gibt uns ein Bild des Lebens als etwas Schwachem und Zerbrechlichem (und nährt damit unbewusste Ängste!). Die Gaia-Theorie bricht mit diesen Paradigmen und zeigt uns, dass das Leben selbst seine Umwelt beeinflusst, und zwar in einer Weise, die bessere Bedingungen für die Nachkommen schafft. Wir erkennen, wie stark das Leben ist. Und wie sehr wir Teil vom Ganzen sind.

Was langsam in das menschliche Bewusst­sein dringt ist die Bedeutung der wechselseitigen Beziehungen aller Dinge. Das Foto der Erde aus dem Weltraum (gemacht aus der Apollo 17 am 7. Dezember 1972 und bekannt als Blue Marble, "Blaue Murmel", siehe Abbildung oben) hatte eine enorme Wirkung auf die kollektive Psyche der Menschheit und ebnete den Weg für neue Denkansätze. 1973 veröffentlichte der britische Wissenschaftler James Lovelock, der seit Jahren für das Mars-Programm der NASA tätig war, die von ihm so genannte Gaia-Hypothese, die den Planeten Erde als einen komplexen Superorganismus darstellt. In den folgenden vier Jahrzehnten haben die Ökologie und die Erdsystemwissenschaften große Fortschritte gemacht. Es folgt eine Einführung in die Dinge, die wirklich zählen.

Gaia ist kein Synonym für die Biosphäre ("Lebenssphäre", die alles Lebendige um­fasst). Im naturwissenschaftlichen Sinne ist Gaia die Gesamtheit der materiellen Erde und aller Lebewesen auf ihr. Dieses System ist zur Selbstregulierung fähig, d.h. die Temperaturen und chemischen Bedingungen der Erdoberfläche werden von diesem "größeren Ganzen" gesteuert, so dass sie das Wohl der Lebewesen gewährleisten. Dies vollzieht sich durch aktive Feedback-Prozesse, die die erforderliche Energie von der Sonne erhalten. [3]

Eine der ersten Erkenntnisse, die auf die Existenz von Gaia wiesen, ist die, dass die Erde ihre durchschnittliche Oberflächentemperatur von ca. 14°C konstant gehalten hat, seit vor 3,8 Milliarden Jahren das Leben begann – trotz der Tatsache, dass die Sonne in diesem Zeitraum um etwa 25% heißer geworden ist. Und angesichts der ständigen Veränderbarkeit der anderen Grundvoraussetzungen (astro­nomische, geologische, chemische) ist die Temperaturerhaltung keine leichte Aufgabe. Innerhalb des riesigen Temperaturspektrums, das physikalisch möglich ist, ist das Fenster für biologisches Leben extrem klein: 0° bis 50°C. Und das Leben hat noch weitere Grundbedürfnisse, z.B. einen pH-Wert zwischen 3 und 9 und, was das Leben im Meer betrifft, einen Salzgehalt, der sechs Prozent nicht überschreiten darf. Die Tat­sache, dass "die allgemeinen Umweltbedingungen der Erde den hohen Bedürfnissen der Zellen entsprechen", sagt Lovelock, "ist der beste Beweis für Gaia, die höhere Einheit zwischen Leben und Umwelt". [4]

Das System verändert sich ständig, Be­dingungen bleiben nicht konstant sondern entwickeln sich synchron mit den sich verändernden Lebewesen. Das Leben und seine Umwelt sind aufs engste miteinander verknüpft. Evolution betrifft nicht die Organismen oder die Umwelt getrennt, sondern Gaia als ganzes.

Gaia ist die größte Manifestation des Le­bens, die wir kennen. Sie unterscheidet sich von anderen Lebewesen in der Art, wie der Mensch sich von den lebenden Zellen seines Körpers unterscheidet. Wenn sich eine große Anzahl lebender Einheiten zusammentut, um ein komplexes, interaktives System zu bilden, das mehr ist als die Summe seiner Teile, spricht man von einem "Superorganismus". Ökosysteme, Ameisenkolonien, menschliche Gesellschaften – und Gaia – sind solche Superorganismen.

Das Leben bewohnt fast alle Regionen dieses Planeten. Es existiert im Überfluss, und das muss es auch! Es muss stark sein, um die Geschicke des Planeten zu lenken. Es kann keinen Planeten geben, der nur teilweise be­wohnt wäre. So hat Gaia drei Domänen: das Krustengestein der Erde, die Atmosphäre sowie die Ozeane. In allen dreien interagiert das Leben mit der Materie und ändert ihre Zusammensetzung.

 

Die Meere

Ohne Wasser kann es kein Leben geben – aber ohne Leben gäbe es kein Wasser. Nur durch das Leben konnte die Erde ihre Ozeane halten. Ohne Leben wäre die Erde so trocken wie unsere planetarischen Nachbarn Venus und Mars. Auch sie hatten einst flüssiges Wasser. Als die Planeten jung und vulkanisch sehr aktiv waren, setzten chemische Reaktionen Unmengen von Wasserstoffatomen frei.* Diese stiegen auf durch das Meerwasser und durch die Atmosphäre. Da sie die leichtesten Atome überhaupt sind, entrückten sie der Anziehungskraft des Planeten und entschwanden für immer ins All. Innnerhalb von ein oder zwei Milliarden Jahren hätte die Erde, wie Venus und Mars, ihr Wasser verloren und wäre unwiderruflich zu einem toten Planeten geworden.

* CO2 aus vulkanischen Gasen reagierte mit vulkanischem Basaltgestein und Wasser, was zur Bildung der Karbonate von Natrium, Kalium, Calcium, Magnesium und Eisen führte.

Aber in einem engen Zeitfenster, als alle Parameter günstig waren, entstand der Funke des Lebens auf der Erde und änderte ihre weitere Entwicklung vollständig. Gaia begann, sich zu zeigen. Zwei Stämme von Bakterien bildeten sich heraus, die fähig waren, Wasserstoff für die Erde zu binden: Der eine gewann Energie aus der Verbindung von Wasserstoff und Schwefel am Meeresgrund;* der andere begann mit der Photosynthese,** wodurch Sauerstoff aus CO2-Molekülen (Kohlendioxid) entnommen wurde und somit zur Bildung neuer Wassermoleküle führen konnte.*** Die Wasser der Erde konnten gerettet werden! [5]

* Vergl. Wikipedia: Desulfurikation
** Auch heute noch "tragen Cyanobacterien wesentlich zur globalen Ökologie und dem Sauerstoffzyklus bei" (Wikipedia: Cyanobacteria; aber Erdgeschichtliches findet sich bisher nur auf der engl. Seite).
*** H2O ist zu schwer für eine Massenauswanderung ins All. Außerdem neigt Wasser dazu, in den oberen Atmosphäreschichten zu gefrieren und dann in Form von Eiskristallen zur Erde zurückzukehren.

Als nächstes bedurfte es ihrer Reinigung. Die Ur-Meere waren ein giftiges Gemisch mit hohen Konzentrationen von Metallen wie Eisen, Chrom, Kupfer, Blei und Zink sowie Kohlenstoff und anderen Elementen. Es entwickelten sich Mikroorganismen, die ihren Stoffwechsel beschleunigten, indem sie Metalle als Katalysatoren verwendeten. Wenn sie starben, sanken mit ihren Leichnamen auch winzige Mengen dieser Metalle zum Meeresboden. Langfristig klärten sich so die Meere und schufen Sedimentgesteine mit Metallerzvorkommen. Auf ähnliche Weise entstanden durch Mikroorganismen auch die Erdöl- und Gaslagerstätten. [6]

Durch ihre Mikroflora bilden die Meere das größte CO2-Lager der Welt. In der Erdgeschichte halfen sie, das Klima der vulkanischen Urzeit auf ein Maß zu kühlen, das Artenvielfalt erlaubt. Außerdem verdunstet ständig Oberflächenwasser und bildet Wolken, die lebensspendenden Regen über die Landmassen verteilen.

Des weiteren haben Meere, Wolken, Schnee- und Eisdecken wie auch Wälder und Pflanzendecken eine unterschiedliche Albedo (Rückstrahlung), was Gaia ein sehr kraftvolles Instrumentarium zur globalen Temperaturkontrolle gibt. Helle Oberflä­chen wie Schnee und Eis haben eine hohe Al­bedo und reflektieren 80-90% der Sonnenenergie, wodurch sie die Erde kühlen. Wasser hat eine geringe Albedo und reflektiert nur 5-10%. Die dunklen Nadelbäume der nördlichen Breiten haben eine besonders geringe Albedo, wodurch sie mehr Sonnenwärme aufnehmen können, was sogar den Frühjahrsbeginn in diesen Regionen vorverlegt (denn die sommerliche Wachstumsperiode ist sehr kurz im hohen Norden). Unabhängig von ihrem Standort auf der Erde können Bäume die innere Temperatur ihrer Blätter selbst regulieren, und sie halten sie um die 21°C, weil das für die Photosynthese optimal ist. So kann das Innere einer Fichtennadel an einem heißen Sommertag 40°C kühler sein als eine tote Oberfläche von gleicher Farbe. [7]

 

Die Atmosphäre

Wussten Sie, dass 99% der atmosphärischen Gase Produkte von lebenden Organismen sind? (Das verbleibende 1% entfällt auf die chemisch passiven Edelgase Helium, Neon, Argon, Krypton und Xenon.) Der eher passive Stickstoff (78% der Luft) stammt vollständig von Lebewesen, wie auch Sauerstoff, Methan und Kohlendioxid (CO2), die sich in beständigem Austausch mit lebenden Organismen befinden. Die Bestandteile der Luft "waren noch vor kurzem Teil der festen und flüssigen Substanzen lebender Zellen". [8]

Wie die Rinde eines Baumes hat sich die Zusammensetzung der Atmosphäre dahin entwickelt, das Leben effektiv vor schädlichen Einflüssen zu bewahren und ein lebensfreundliches Klima zu erhalten. So filtert z.B. die Ozonschicht 97-99% der als gefährlich geltenden ultravioletten Strahlung aus dem Weltraum.

Auf unserem lebendigen Planeten stellt die Luft eine förderliche Matrix für alle Landwesen dar, ein Medium, durch das die Lebewesen Nahrung finden und ihre Abfallstoffe abgeben können. Abfallstoffe, die – und das ist das Geheimnis von Gaias Nachhaltigkeits-Management! – immer Nahrung für andere Arten sind.

Kohlenstoff und Stickstoff sind die we­sentlichen Bausteine des Lebens, und durch die Vermittlung der Luft sind sie überall reichlich verfügbar. Auf einem leblosen Planeten würde aller Stickstoff schließlich in Form von Nitraten in den Meeren gebunden sein, aber bei uns halten ihn Myriaden von Lebewesen im Umlauf und in der Luft. Der CO2-Gehalt der Luft eines toten Planeten würde über ein Prozent steigen und seine Oberfläche zum Kochen bringen. [9]

Freier Sauerstoff war sehr selten, als die Erde jung war. Es waren die Photosynthese betreibenden Bakterien und später ihre Nachfahren, die höheren Pflanzen, welche den Sauerstoffgehalt der Luft von einem Spurenelement auf die gegenwärtigen 21% anhoben. (Heute produziert der Regenwald des Amazonas etwa 20% des Sauerstoffs der Welt.) Das Himmelblau der Atmosphäre und die Tatsache, dass die Erde aus dem All betrachtet wie eine blaue Perle erscheint, verdanken wir dem hohen Sauerstoffgehalt.

Die Atmosphäre ist eine dynamische aber empfindliche "Schutzhülle, die vom Leben selbst fortwährend repariert und wiederhergestellt wird". [10]

 

Das Gestein

Felsen sind ein Teil von Gaia wie die Schale ein Teil der Muschel ist. Das Mineralreich gibt dem biologischen Leben ein Fundament, Schutz und Nahrung. Doch was lange übersehen wurde, ist, dass andersherum das Leben, in den 3,8 Milliarden Jahren seiner Gegenwart, tiefgreifende Veränderungen im Krustengestein bewirkt hat.

Mikroorganismen beschleunigen die Verwitterung von Gesteinen erheblich. Die Zersetzung von Basaltgestein z.B. ereignet sich unter Mitwirkung von Mikroorganismen eintausendmal schneller als unter sterilen Bedingungen. [11] Wind und Regen befördern die Mineralstoffe zu den Flüssen, Seen und Meeren, wo sie in den aktiven Stoffwechsel des Planeten eintreten. Wir denken gewöhnlich, dass die Gesteine der Erdkruste durch Vulkanismus und andere geologische Kräfte verändert werden, aber 75% der Energie, die weltweit Oberflächengestein verändert, wird von Lebewesen aufgebracht: Pflanzen, Flechten und v.a. Bakterien. Diese dringen tief in die Gesteinsschichten vor und zersetzen ihre Umgebung mit Hilfe der Säuren, die sie ausscheiden. Die Auswirkungen ihrer mikroskopischen Arbeit am Gestein sind dreimal größer als die sämtlicher Vulkane der Welt. [12]

So erzeugen Mikroorganismen auch Mutterboden, eines der großen Kraftwerke des Lebens.

Kalkstein und Kreidefelsen (wie die weißen Küsten von Dover oder Rügen) sind organischen Ursprungs, sie stammen von Meereslebewesen. Indem sie an der Einlagerung von Kohlenstoff mitwirken (der, zu­meist als Calciumcarbonat, in ihren Kalk­schalen gebunden ist), spielen lebende Or­ganismen eine riesige Rolle im Kohlenstoffzyklus des Planeten (siehe unten).

 

Der Stoffwechsel der Erde

Die Hauptorgane des planetarischen Stoffwechsels sind die Meere, die Atmosphäre und das Krustengestein. Sie sind eng miteinander verbunden, und ihr Austausch von Energie und Materie ermöglicht Gaia die Regulierung aller wichtigen Faktoren:

• Temperaturen, Wetter und Klima weltweit
• den Salzgehalt der Meere
• den Sauerstoffgehalt der Luft
• das Reduktionspotential, besonders der Gase der Luft
• die Luftelektrizität
• den Säuregrad von Luft, Gewässern und Boden
• die Verfügbarkeit von Wasser auf den Kontinenten
• die Verteilung von Nährstoffen
• die Stärke kosmischer Strahlung.

Keiner dieser Faktoren ist festgeschrieben. Im Gegenteil: Sie können sich jederzeit verschieben (und tun das auch im Lauf der Erdgeschichte), wobei sie Änderungen anderer Parameter nach sich ziehen. Eine zentrale Aufgabe für die Überlebensmechanismen eines Superorganismus ist die Regulierung der Temperatur, denn wie der menschliche Körper oder ein Bienenvolk hat auch ein Planet eine ideale Betriebstemperatur – die der Erde liegt bei ca. 14°C.* Gaia hat diese Temperatur verlässlich konstant gehalten, seit das Leben vor 3,8 Mrd. Jahren begann…

* Für das Leben auf dem Land ist 23°C die beste durchschnittliche Temperatur, denn sie ist ideal für Pflanzen. Das Optimum für die Meere ist aber 10°C oder weniger, denn das ermöglicht die Konvektion, in der sich Oberflächenwasser mit tieferen Schichten vermischt, was Nährstoffe zur Oberfläche bringt und Sauerstoff und CO2 in die Tiefe.

…und das gegen viele Hindernisse! Um überhaupt im Ansatz verstehen zu können, wie empfindlich dieses Gleichgewicht ist, wollen wir einen Blick auf die Elemente der Atmosphäre werfen. In der Atmosphäre eines toten Planeten sind alle möglichen chemischen Reaktionen zwischen den Gasen bereits abgelaufen. In diesem chemischen Gleichgewichtszustand ist die Luft wie ein Gemisch aus Auspuffgasen, aus dem sich keinerlei Energie mehr gewinnen lässt. Auf der Erde dagegen ist nichts in diesem Gleichgewichtszustand; die Luft ist ein absolut unwahrscheinlicher Cocktail aus oxidierenden und reduzierenden Gasen, die in einer hochreaktiven Mischung vorhanden sind. Unter dem ständigen Beschuss mit ultravioletter Strahlung von der Sonne muss freier Sauerstoff einfach mit Methan reagieren oder jeglichem anderen Gas, das seines Weges kommt. Die Koexistenz dieser Gase in unserer Luft hat nur deshalb Bestand, weil Lebewesen fortwährend für Nachschub sorgen. Ohne Leben würden die chemischen Elemente der Erde sich gemäß dem Gesetz der Entropie (siehe unten) erschöpfen und der Planet würde öde, heiß, wasserlos und unwirtlich. [13]

So erklärt sich auch, warum die Spektralanalyse den Astronomen verraten kann, ob ein ferner Planet eventuell belebt ist oder nicht. "Die Atmosphäre ist das Gesicht eines Planeten, und wie das Gesicht eines Menschen teilt sie uns etwas über seinen Gesundheitszustand mit und sogar, ob er lebendig oder tot ist" (James Lovelock). [14]

Ein weiterer wesentlicher Aspekt der planetarischen Haushaltsführung ist die Salzregulierung der Meere. Würde der heutige Salzgehalt um ein Drittel ansteigen, würde er die Zellmembranen so gut wie aller Meeresbewohner zerstören. Doch die Konzentration steigt, weil Meerwasser verdunstet (ohne das Salz) und die Flüsse beständig neue, aus der Gesteinsverwitterung an Land gelöste Salze eintragen. Für Jahrhunderte haben Wissenschaftler nicht verstanden, warum das Weltmeer nicht immer salziger wird. Inzwischen wissen wir, dass die Zufuhr von Na­trium, Chlor und anderen Salzen fast vollständig durch die Auswirkungen des Kontinentaldrifts ausgeglichen wird.* Die Tatsache, dass sich so unterschiedliche Kräfte wie der Wasserumsatz der Flüsse der Welt und die Plattentektonik die Waage halten, kann als weiterer Beweis für Gaia gesehen werden.** Auch der Salzgehalt ist seit Milliarden von Jahren lebensfreundlich geblieben.

* Salze werden entweder mit der Sedimentablagerung deponiert oder durch unterseeische Thermalquellen entlang der großen Spalten auseinanderdriftender Erdplatten ("Meeresrücken") entsorgt. Dieses Recycling allen Meerwassers dauert zwischen zehn und hundert Millionen Jahre. [15]
** Auch für den Salzüberschuss hat Gaia einen Sicherheitsplan: Verbleibende Salze werden in Lagunen zu sog. Eindunstungsgestein (Evaporit) transformiert. Dazu bilden sich über den Schichten kristallisierenden Salzes Matten spezialisierter Bakterien, die die Salze mit einem wasserabweisenden Lack überziehen, so dass sie bei der nächsten Flutung nicht wieder gelöst werden. [16]

 

Kohlenstoff

Kohlenstoffatome sind die chemische Basis für alles biologische Leben. "Bäume sind Kohlenstoff-Strukturen, 50% des Gewichts trockenen Holzes ist reiner Kohlenstoff. Und er stellt 18,5 Gewichtsprozent des menschlichen Körpers.

Kohlenstoff entsteht, wenn im Inneren von Sternen drei Heliumatomkerne fusionieren. Aber damit dieser Kohlenstoff (und andere Elemente) irgendwann biologischem Leben zur Verfügung stehen kann, muss ­dieser Stern in einer Supernova explodieren und seine Bestandteile in den Weltraum hinausschleudern. Aus solchem kosmischen Staub entstehen irgendwann neue Sterne zweiter und dritter Generation – und einige von ihnen mit Planeten.

Kohlendioxid (CO2) ist die wichtigste Substanz im Stoffwechsel der Erde. In der Luft ist es außerdem eines der "Treibhausgase" und beeinflusst weltweit Klima, Pflanzenwachstum und Sauerstoffproduktion.

 

Der Kohlenstoffzyklus

Als die Erde jung war, wurden durch Vulkane und die Verwitterung von Vulkangesteinen riesige Mengen von Kohlenstoff in die Luft gepumpt. Die Meere absorbierten einen großen Teil von atmosphärischem CO2 und die Flüsse trugen weitere Kohlenstoffverbindungen aus der Gesteinsverwitterung an Land ein. Auch heute noch wird die unaufhörliche Kohlenstoffzufuhr beständig durch Meereslebewesen ausgeglichen: Plankton, Algen und Korallen benutzen Calziumcarbonat und lagern es bei ihrem Tod auf dem Meeresboden ab, wo es langsam Teil der Schichten von Sedimentgestein (Kalkstein, Dolomit, Kreide) wird.

Auf dem Festland filtern höhere Pflanzen durch Photosynthese CO2 aus der Luft, spalten die Moleküle, entlassen den Sauerstoff daraus und schaffen aus dem Kohlenstoff Zuckerverbindungen, in denen sie die eingefangene Sonnenenergie transportieren und speichern. Sie benutzen sie für ihre eigenen physischen Körper, aber bei ihrem Tod teilen sie die Energie mit anderen Lebewesen. So agiert das Leben selbst als ein riesiges Kohlenstoff-Reservoir. Es wird ge­schätzt, dass gegenwärtig zwischen einer halben und einer Billion Tonnen Kohlenstoff in den Lebewesen der Erde gebunden sind. Die Mutterböden halten noch einmal das Dreifache. [17] Die Pflanzen der Welt verwandeln jährlich etwa 100 Mrd. Tonnen atmosphärischen Kohlenstoff in lebendes Gewebe. [18]

Aber ein Planet, der nur von Pflanzen besiedelt ist, würde auch nicht lange leben! In wenigen Millionen Jahren hätten die Pflanzen das atmosphärische CO2 auf gefährlich niedrige Werte gesenkt. Durch das Verspeisen der Decke, die die Erde warm hält, würde der Planet gefrieren. [19] Nun kommen wir ins Spiel! Und auch die Tiere und vor allem die Fermentationsbakterien, die die Aasfresser der Bakterienwelt sind und sich von Ausscheidungen oder Kadavern der "Primärproduzenten" (der Photosynthetisierer) er­nähren. Wir alle leben von organischer Ma­terie, die von Pflanzen (und Algen und Bakterien) produziert wurde, und wir führen einen Teil des Kohlenstoffs wieder in die Luft zurück (Rülps!).* Somit ist der Kohlenstoffzyklus komplett (stark vereinfacht be­schrieben).

* Insbes. in Form von Methan (CH4), einer Kohlenstoffverbindung, die als "Treibhausgas" 34mal stärker wirkt als CO2.

 

Stickstoff

Stickstoff ist ein unerlässlicher Baustein von Proteinen und der DNS und daher unverzichtbar für das Leben. Wie alle chemischen Elemente in diesem Kapitel ist er sternengeboren und seit ihrem Beginn Teil der Erde. Stickstoff ist eines der sieben häufigsten Elemente in unserer Galaxie und dem Sonnensystem. Er stellt knapp 80% der Luft und ca. drei Gewichtsprozent unseres Körpers.

Anders als Kohlenstoff und Sauerstoff ist er chemisch eher träge; so bedarf es schon einer Blitzentladung, um Stickstoff mit ­Sauerstoff zu verbinden. Die daraus resultierende Salpetersäure wird mit dem Regen fallen, aber solche Formen von Stickstoff können weder von Pflanzen noch von Tieren verwendet werden. Sie müssen zuerst von stickstoffixierenden Mikroorganismen eingefangen und zu organischen Verbindungen umgebaut werden. Diese kleinen Helfer ga­rantieren Pflanzen und Tieren eine konstante Stickstoffversorgung. Baumwurzeln und ihre verbündeten Pilze können nun die Nitrate aufnehmen und verwerten. Andere Mikroorganismen arbeiten am anderen Ende des Lebensspektrums, wo sie tote organische Materie abbauen und Stickstoff wieder in die Atmosphäre entlassen.

Es waren Lebewesen, die sämtlichen Stickstoff unserer Luft freigesetzt haben, und sie sind es, die den Stickstoffzyklus in Gang halten. Der Gesamtfluss an Stickstoff im Stoffwechsel der Erde liegt bei etwa 500 Millionen Tonnen pro Jahr. [20]

Aus der Perspektive Gaias muss ein guter Teil Stickstoff aus verschiedenen Gründen in der Luft bleiben. Er ist wesentlich für den Luftdruck verantwortlich, welcher eine Grundvoraussetzung für sämtliche chemische und physikalische Vorgänge, so wie wir sie kennen, ist. Außerdem ist er quasi ein Verdünnungsmittel für die anderen Gase der Luft, deren Werte sonst höher lägen: "Treibhausgase" würden den Planeten aufheizen, und zu viel Sauerstoff würde die Luft in Flammen aufgehen lassen. [21]

 

Sauerstoff

Sauerstoff ist das dritthäufigste Element im Universum (nach Wasserstoff und Helium) und neben Eisen das häufigste Element der Erdkruste. Dennoch ist er in der Atmosphäre eines unbelebten Planeten kaum verfügbar, da er aufgrund seines heftigen Reaktionsvermögens schnell mit anderen Stoffen Verbindungen eingeht. Vor über 3 Mrd. Jahren begannen Cyanobakterien durch Photosynthese Sauerstoff freizusetzen, aber aus ge­nannten Gründen und der hohen Absorp­tionsrate durch tektonische und vulkanische Aktivität blieb er lange nur ein Spurenelement. Doch die unermüdliche Aktivität unterschiedlicher Mikroorganismen führte schließlich doch zu einer Zunahme des ­Sauerstoffgehalts der Luft.*

* Dank der Photosynthetisierer, aber auch aufgrund solcher Mikroorganismen, die dazu beitrugen, Kohlenstoffverbindungen im Meeresgrund zu begraben. Kohlenstoff, der sich sonst mit freiem Sauerstoff zu neuerlichem CO2 verbunden hätte.

Mit der Anreicherung von Sauerstoff in der Luft begann ein völlig neues Kapitel der Erdgeschichte. Zuerst oxidierte dieses rastlose Element das Methan, das bis dahin die Atmo­sphäre dominiert hatte. Durch Beschleunigung der Gesteinsverwitterung sowie die Oxi­dation von Stickstoff zu Nitrat machte der Sauerstoff Nährstoffe weithin verfügbar, die bis dahin selten gewesen waren. Dies führte zu einem starken Evolutionsschub der Photosynthetisierer, zu immer komplexeren Landpflanzen, die wiederum noch mehr Sauer­stoff produzierten, besonders die großen Wälder des Karbon-Zeitalters, siehe Wiki. Als der Luftanteil 10% erreicht hatte, konnten sich größere Tiere entwickeln. Der gegenwärtige Sauerstoffanteil der Luft von knapp 21% macht den Himmel blau und die Energie, die er uns zur Verfügung stellt, ermöglicht uns die Bewegung und den Vögeln das Fliegen.

Und gleichzeitig ist Sauerstoff eine ernste Gefahrenquelle. Durch den oxidativen Stoffwechsel, wie ihn unsere Körper betreiben (d.h. aus der Reaktion von Nahrungsmitteln mit Sauerstoff wird Energie gewonnen), werden die Zellen ständig der giftigen Wirkung freier Sauerstoffradikaler ausgesetzt, die wie radioaktive Strahlung zu Mutationen führen können. Allerdings haben wir von unseren entfernten bakteriellen Vorfahren einige Taktiken geerbt, um mit ihnen umzugehen (Antioxidantien*). Aber der Preis ist hoch, man vermutet, dass der daraus resultierende Stress der Zellen einer der Hauptgründe für das Altern ist. [22] Bäume tun gut daran, diese giftige Substanz schnell wieder auszuatmen: sie können sich zwar nicht bewegen wie wir, aber sie werden ungleich älter.

* Zu den wichtigsten Antioxidantien gehören Tocopherol (Vitamin E), mit dem unser Körper das Hydroxil-Radikal unschädlich macht, Enzyme wie Katalase gegen Wasserstoffperoxid und Superoxiddismutase gegen Superoxid. [22]

Aber Bäume haben auch ein Problem mit Sauerstoff: das Feuer. Wie kein anderes Element der Luft hängt der Sauerstoff mit Entflammbarkeit zusammen. Unter 15% Sauerstoffgehalt der Luft würde nichts brennen. Doch jedes weitere Prozent erhöht die Chance einer Entzündung um 70%. Beträgt der Sauerstoffgehalt 25%, ist die Brennbarkeit der Luft so hoch, dass selbst feuchter Tropenwald völlig verbrennen würde. Gaia hält ihn seit hunderten von Millionen Jahren auf knapp unter 21%.* [23] Die Existenz prähistorischer Holzkohleschichten zeigt uns, seit wie langer Zeit der Sauerstoffgehalt bei ­mindestens 15% lag. Andererseits beweisen versteinerte Wälder aus verschiedenen Epochen, dass er nie über 25% lag. [24] Jedoch kann er ganz lokal solch hohe Werte erreichen, wenn nämlich an sehr heißen und trockenen Tagen in den Subtropen das Buschland in­tensiv photosynthetisiert und sich in windstiller Luft viel Sauerstoff um die Blätter an­sammelt. Heiße Luft kann sich dann selbst entzünden (v.a. wenn zusätzlich ätherische Öle vorhanden sind). [25]

* Zweifler werden auf Atomunterseeboote verwiesen, deren Luftgemisch nicht einmal 22% Sauerstoff aufweisen darf, weil das Brandrisiko dadurch zu sehr steigt. [25]
Aber im Mittelmeerraum, und wohl auch in Sibirien, entstehen regelmäßig Waldbrände durch Brandstiftung seitens verzweifelter Feuerwehrsgehilfen, die sonst für den Sommer keinen Job hätten. In solchen Ländern muss unbedingt und schnellstens ein neues Lohnsystem für die freiwillige Feuerwehr eingeführt werden!

 

Schwefel

Auch Schwefel ist unentbehrlich für das Leben. Er wird in verschiedenen biochemischen Vorgängen, in Vitaminen, Antioxidantien und Proteinen benötigt. Er kommt natürlich und reichhaltig in seiner reinen Form vor, sowie als Sulfid- und Sulfatgestein.

Die Kontinente verlieren ständig Schwefel, weil die Flüsse jährlich einige Millionen Tonnen in die Meere tragen. Die Meeres­lebewesen haben also genug Schwefel zur Verfügung, aber Gaia musste Wege finden, genügend Schwefel wieder auf das Festland zu bringen. Die meisten Algen produzieren eine Verbindung, die DMS genannt wird (Dimethylsulfid). In der Meeresluft oxidiert sie und formt winzige Tröpfchen von Schwefelsäure, die als Kondensationskerne für die Wolkenbildung fungieren. Diese zusätzliche Wolkenbildung hat einen globalen Kühlungseffekt (siehe oben: Albedo), und über den Regen versorgt sie die Landpflanzen mit Sulfaten. Das wiederum hat ein mehrfaches positives Feedback auf das Algenwachstum: Wolken beschatten das Wasser (Algen mögen es kühl), und sie erhöhen die Windgeschwindigkeit, was die Oberflächen­wasser besser durchmischt und Nährstoffe aus tieferen Schichten nach oben bringt (wo die nahe am Licht lebenden Algen sie brauchen). Zusätzlich zu diesen unmittelbaren Vorteilen (von denen man glaubt, dass sie zur Evolution dieses Systems führten) erhöhen die Sulfate an Land die Zersetzung des Gesteins und damit den Pflanzenwuchs – der wiederum mehr Landnährstoffe über die Flüsse zu den Algen senden wird. So gilt der Schwefelzyklus sowohl als förderlich für die Ökosysteme an Land als auch im Meer. [26]

Regen enthält also von Natur aus eine Anzahl verschiedener Säuren, aber so minimal, dass es gut ist für das Leben.* Die Dinge gerieten erst aus dem Lot, als die Schlote der industriellen Revolution begannen, riesige Abgasmengen aus fossilen Brennstoffen auszustoßen – Kohle und Erdöl enthalten etwa 1% Schwefel. [27] In den 1980ern, bevor man CO2 für alles verantwortlich machte, war der "saure Regen" der große Buhmann in den Umweltdebatten. In einem Freilandversuch gelang es aber über Jahre nicht, durch künstliche Beregnung mit verdünnter Schwefelsäure eine signifikante Versauerung des Bodens oder sichtbare Schäden an den Nadelbäumen zu erzeugen.** [28]

* Die von Natur aus minimal im Regen vorkommenden Säuren sind Kohlen-, Ameisen-, Salpeter-, Schwefel-, Sulfon- und Salzsäure.
** Mit dem Freilandversuch im Höglwald bei Augsburg hatten mehrere deutsche Universitäten und renommierte Institute versucht, die vermeintlich fatalen Auswirkungen des “sauren Regens” nachzuweisen – erfolglos. Über mehrere Jahre gelang es nicht, durch künstliche Beregnung mit verdünnter Schwefelsäure und einem vorweggenommenen Säureeintrag von 120 Jahren (!) sichtbare Schäden an den Nadelbäumen zu erzeugen. Obwohl man absichtlich einen bereits stark versauerten Boden ausgewählt hatte, dessen Puffervermögen erschöpft war, ergab sich nicht einmal eine auch nur geringfügige Absenkung des pH-Wertes. Lediglich eine Versauerung der Nadelstreuauflage und dadurch eine Schädigung der Bodenkräuter (z.B. Sauerklee) stellte sich ein. Nach mehrfacher Verlängerung wurde dieser Versuch nach sieben Jahren saurer Beregnung abgebrochen. [28]

 

Phosphor

Phosphor ist Teil der Grundstrukturen der DNS und RNS (siehe S. 384) und unerlässlich für den Energietransport in der Photosynthese. Der menschliche Körper enthält etwa 700 Gramm dieses Elements, und ca. 1,5 gr werden täglich ausgeschieden und müssen durch die Nahrung wieder er­setzt werden. Phosphor ist eine der grund­legenden Pflanzennährstoffe und dadurch auch für den Fortbestand der Menschheit wichtig. Phosphatmineralien werden über Tage abgebaut und zur Herstellung von Phosphatdünger benutzt.* Die Phosphatgesteine entstanden vor Millionen von Jahren aus Mikroorganismen im Meer, und nun ernährt ihr Leben und ihr Tod nahezu alles Leben auf der Erde. [29]

* Deutsche Bauern verwenden jährlich 330.000 Tonnen Phosphatdünger. [29] Im Jahre 2011 wurden weltweit 191 Mio. Tonnen Phosphat abgebaut (U.S. Geological Survey).

Heutzutage wird auch ein Teil der übermäßigen Kunstdüngung über die Flüsse in die Meere getragen, und regelmäßig hören wir von "Algenplagen" und "Qualleninvasionen" in Flussmündungen und an Küsten. Doch vor den Eingriffen des Menschen musste die Natur andere Wege finden, um eine Grundversorgung mit Phosphor auch für die Meeresbewohner zu schaffen. So entdecken wir einen völlig überraschenden Aspekt der Feuer-Ökologie der Wälder: Waldbrände setzen u.a. auch Phosphormoleküle frei, die vom Wind von den Flammen weggetragen werden. Ein Teil des mobil gewordenen Phosphors findet schließlich seinen Weg zu den Flüssen und dadurch zum Meer. So wirken sich Waldbrände positiv auf das Algenwachstum aus und führen zu erhöhter Sauerstoffproduktion. Natürliche Waldbrände harren ihrer Neudefinition als Teil von Gaias Mechanismen zur Regulierung des Sauerstoffgehalts der Atmosphäre. [30]

 

Calcium

Obwohl Calcium lebenswichtig ist, ist es als freies Ion hochgiftig. Bereits in den Ur-Meeren begannen Bakterien und mikroskopische Pflanzen (z.B. Algen), das gefährliche freie Calcium in unlösliches Calciumcarbonat zu verwandeln und sich daraus schützende Schalen zu fertigen. Das senkte nicht nur den Calciumgehalt im Inneren ihrer Zellen, sondern gab ihnen eine effektive Schutzhülle für ihren ganzen Körper. Später haben höhere Tiere (auch der Mensch) denselben Trick übernommen, Calcium aus dem Zellstoffwechsel herauszuhalten, indem es vorwiegend zur Stärkung von Knochen und Zähnen verwendet wird. [31]

 

Leben

Dieser kurze Einblick in den Stoffwechsel der Erde zeigt bereits die immense Größe und Kraft, mit der das Leben auf seine "Umwelt" einwirkt. Wir sehen, dass Leben und Umwelt nicht voneinander getrennt aufgefasst werden dürfen. Und auch, dass ein Planet vollständig belebt sein muss; eine nur teilweise Besiedelung mit Lebewesen kann planetarisch nicht funktionieren. Und zur Vollständigkeit gehört auch die Artenvielfalt!

Die oben beschriebenen sieben Elemente zeigen außerdem, wie schnell die wichtigsten Bausteine des Lebens eine giftige Wirkung haben können, wenn sie in ungünstiger Menge oder an falscher Stelle vorkommen. Wie Paracelsus sagte: "Die Dosis macht das Gift". Das Leben findet wirklich auf Messers Schneide statt.

Das zweite Gesetz der Thermodynamik besagt, dass, wenn eine Energieform in eine andere konvertiert wird, immer ein kleiner Anteil an Wärme verlorengeht. Dadurch, sagt die Logik, bewegen sich alle Vorgänge in der Natur auf das "thermodynamische Gleichgewicht" zu, bis nirgendwo mehr Energie verfügbar ist. Diesen endgültigen Stillstand bezeichnet man als maximale Entropie (d.h. der Ordnungsgrad ist gleich Null). Alles im Universum hat eine immer höhere Entropie, der Ordnungsgrad sinkt beständig. Um dem entgegenzuwirken, brauchen Lebewesen Nahrung als Energiequelle. So können sie ihre hohe innere ­Organisation (d.h. ihre niedrige Entropie) aufrechterhalten.

Aber in der Welt der Physik dürfte biologisches Leben eigentlich gar nicht entstanden sein. Das Leben kehrt die fortschreitende Entropie beständig um, indem es immer komplexer werdende Organismen und Superorganismen hervorbringt, die zudem Erfahrungen machen und Erinnerungen (Informationen) speichern. Metaphorisch gesehen, sagt Lovelock, "ist die erstaunlichste Eigenschaft und Besonderheit des Lebens seine Fähigkeit, sich stromaufwärts gegen den Fluss der Zeit zu bewegen. Das Leben ist der paradoxe Widerspruch gegen das zweite Gesetz der Thermodynamik … Und was noch bemerkenswerter ist: Dieser unstete, geradezu illegale Zustand des Lebens hat sich auf der Erde gehalten für einen ansehnlichen Bruchteil des Alters des Universums selbst". [32] Seit über drei Milliarden Jahren erhöht Gaia den Grad der Ordnung und Komplexität. Die Erde ist wirklich der Planet, der alle Regeln bricht.

Das Leben ist das Gegenmittel gegen die Sterblichkeit des Universums.

 

Die Evolution der Wälder

Als das Leben sich auch auf dem Festland ausbreitete, bedurfte es einer kontinuierlichen Wasserversorgung unabhängig von der Entfernung zum Meer. Regenwolken sind natürlich der naheliegende Ansatz für diesen unumgänglichen Wassertransport, doch leider haben sie sich nach spätestens 600 km abgeregnet. Wie konnte das Leben weiter ins Landesinnere vordringen? Die Lösung war eine biologische: die Evolution des Waldes – das flächendeckende Vorkommen großer Pflanzen (Bäume), die in enger Verbindung mit den anderen Organismen ihrer Region eine reiche ökologische Gemeinschaft wachsen lassen. Wälder sind verantwortlich für die ursprüngliche Ansammlung von Wasser auf den Kontinenten und auch für deren stetige Erhaltung seither.

Wie gut das funktioniert, kann man noch im Amazonasbecken beobachten. Der tropische Regenwald nimmt drei Viertel der dort einfallenden Sonnenenergie auf. Durch seinen riesigen Energiehaushalt erschafft der Wald Holz und Wasserdampf – durch die so genannte Evapotranspiration lässt der süd­amerikanische Regenwald mehr Wasser verdunsten als der benachbarte Atlantik. Zudem können Bäume Substanzen abgeben, die als Kondensationskerne für die Wolkenbildung dienen. Die neuen, baum-gemachten Wolken ziehen weiter ins Landesinnere, wo sie erneut abregnen. Im gesamten Amazonasgebiet wird der Regen auf diese Weise fünf bis sechsmal recycelt. Wälder sind Regenmacher. Und die Wolken, die sie bilden, sind ein wichtiger Teil des planetarischen Kühlungssystems.

Dieses System braucht intakten Urwald. Es geht nicht mit Anpflanzungen kleiner wackeliger Setzlinge aus Baumschulen, deren Wurzeln gekappt und vernarbt sind und die den Gen-Pool der Region verfälschen. Es bedarf indigener Bäume, die die Erfahrungen des Landes in sich tragen. Außerdem müssen die Küstenwälder auf 600 km Breite unversehrt bleiben. Wird das nicht eingehalten, droht ein ganzer Kontinent zu veröden und zur Wüste zu werden. Auch wenn (wie in Südamerika) noch "viel" Wald da zu sein scheint: Kein Mensch kennt den Punkt, an dem solch ein System kippt; und wenn wir ihn erkennen, wird es zu spät sein. Ohne Wald verschwinden sämtliche Wasserreserven eines Landes – das Wasser in den Böden, Mooren, Seen und Gletschern – in nur etwa vier Jahren. [33] Vergl. Die wahre Bedeutung der Regenwälder

 

Die planetarische Sicht

Eine allgemeine Eigenschaft von Lebewesen ist das Vorhandensein einer schützenden Begrenzung: die Membrane einer Zellwand, die Haut oder Rinde eines Organismus, die obere Atmosphärenschicht eines Planeten – und auch die territorialen oder moralischen Grenzen eines Ameisenstaates oder einer menschlichen Gemeinschaft. Um zu leben, bedarf es aber eines Austausches mit der Umgebung, der Aufnahme oder Einfuhr von Energie und der Ausfuhr von Abfall- oder Handelsprodukten. Die Begrenzung ist jenes Organ, das diesen Austausch regelt, und dadurch bestimmt es weitgehend die Natur und den Charakter des Organismus.

Unsere materialistische Kultur hat zu lange das Leben innerhalb der Begrenzung als von der Umgebung getrennt verstanden und sich vorgemacht, es könne unabhängig existieren. Aber ein Mensch, ein Bär oder ein Baum brauchen die ganze Erde, um zu leben. Oder wie ginge es ihnen, wenn sie frei im Weltraum schwebten? So wie wir die Erde brauchen, braucht sie ihre zehn Millionen Arten…

…und idealerweise keine einzige weniger! Wie die Ökologie jüngst erkannt hat, sind Ökosysteme um so stabiler, je mehr Arten sie umfassen. Artenvielfalt ist kein Luxus oder eine Laune der Natur, es ist eine Sicherheitsmaßnahme, die den Fortbestand des Lebens garantiert.

Die Erde scheint eine seltene, vielleicht einzigartige Position in der Entwicklung von Planeten innezuhaben. Viele Leute glauben – das (angenommene) Alter des Universums und die riesige Menge von Sternen und Galaxien in Betracht ziehend –, dass es viele bewohnte Planeten geben muss, schon aus statistischen Gründen. Was sie dabei übersehen ist, dass es mindestens zweier Generationen von Sternen bedurfte, um die chemischen Elemente zu bilden. Wir alle – Bäume und Menschen und die gesamte Erde – bestehen aus Sternenstaub. Kein Leben im Universum kann sehr viel älter sein als Gaia. [34]

Und da ist sie: unsere blaue Erde. Seit 3,8 Mrd. Jahren hält sie die Temperaturen, die ph-Werte, die Salzhaltigkeit und alle anderen Parameter im lebensfreundlichen Bereich. Gaia ist stark. Das Leben ist derartig stark auf der Erde, dass weder jener Komet, der die Dinosaurier zum Aussterben brachte, noch irgendeine durch menschliche Ignoranz inszenierte Katastrophe es vollständig auslöschen könnten. Wir brauchen nicht "die Erde zu retten" – wir können sie gar nicht zerstören! Aber wir können den Fortbestand unserer eigenen Art ernstlich gefährden (und tun das gegenwärtig mit fast allen Mitteln). Und wir können Gaia ernsthaft verletzen und ihre Evolution um Jahrmillionen zurückwerfen.

Das Leben ist unaussprechlich kostbar. Und für uns hat Leben gleichbedeutend mit Erde zu sein, denn wir kennen keine andere. Und selbst, wenn wir eine fänden – eine Auswanderung ist völlig am Ziel, am Wesentlichen vorbei, denn wir sind Teil der Erde. Und nur hier können wir unser bestes geben. Fangen wir endlich an!

Es ist die Erde, die zählt. Sie ist wichtiger als jede/r Einzelne von uns. Aber was für eine Freude, Teil dieses kosmischen Abenteuers zu sein!

 

Quellen
1 Flannery 2012, S. 56
2 Lovelock 1992, S. 16-7
3 Lovelock 2000a, S. 19-20, 30
4 Lovelock 1992, S. 98
5 Lovelock 2000b, S. 110; Lovelock 1992, S. 79-81
6 Flannery 2012, S. 65-6
7 Lovelock 2009, S. 21
8 Lovelock 2000a, S. 68
9 Flannery 2009, S. 33
10 Flannery 2012, S. 63
11 Lovelock 1992, S. 111, bezugnehmend auf Schwartzman, D. W., und T. Volk, 1989. "Biotic enhancement of weathering and the habitability of Earth", Nature, 340, 457-460.
12 Flannery 2012, S. 62
13 Lovelock 1992, S. 21
14 Lovelock 2000b, S. 67
15 Flannery 2012, S. 71; Lovelock 2000b, S. 102-3
16 Lovelock 1992, S. 96, 130
17 Flannery 2009, S. 42. Vergl. Wikipedia: Kohlenstoffzyklus
18 Flannery 2012, S. 59
19 Lovelock 2000b, S. 73, 121
20 Lovelock 1992, S. 119
21 ebenda, S. 114
22 Lovelock 2000b, S. 122; Lovelock 1992, S. 116
23 Lovelock 1992, S. 29
24 ebenda, S. 114
25 ebenda, S. 116
26 Lovelock 2000b, S. 133-41; Lovelock 1992, S. 122-5. Vergl. Wikipedia: Schwefelkreislauf. Auch Wikipedia: CLAW-Hypothese, aber die englische Seite enthält z.Z. außerdem die Anti-CLAW-Hypothese, sowie gute Graphiken.
27 Lovelock 2000b, S. 152
28 Kreutzer, K., “Folgerungen aus der Höglwald-Forschung” in: AFZ 14/1994. Auch: Rothe, A., “Saure Beregnung und Kalkung, Auswirkungen auf Bodenchemie und Wasserqualität” in: AFZ 14/1994.
29 Der Spiegel 37/2013, S. 122-3
30 Lovelock 2000b, S. 125-6
31 ebenda, S. 97-9
32 ebenda, S. 23
33 Makarieva & Gorshkov 2006; auch Lovelock 1992, S. 158
34 Flannery 2012, S. 42; Lovelock 2000b, S. 65

Bibliographie
Flannery, Tim, 2009. Wir Klimakiller. Fischer, Frankfurt/M.
Flannery, Tim, 2011. Auf Gedeih und Verderb – Die Erde und wir: Geschichte und Zukunft einer besonderen Beziehung. Fischer, Frankfurt/M.
Lovelock, James, 1992. Gaia – Die Erde ist ein Lebewesen. Scherz, Bern/München/Wien
Lovelock, James, 2000 (a). Gaia: A New Look at Life on Earth. Oxford University Press
Lovelock, James, 2000 (b). The Ages of Gaia: A Biography of our Living Earth. Oxford University Press
Lovelock, James, 2009. The Vanishing Face of Gaia: A Final Warning. Penguin, London
Makarieva, A.M. & Gorshkov, V.G. 2006. Biotic pump of atmospheric moisture as driver of the hydrological cycle on land, Hydrology a. Earth System Sciences, 3, 2621-2673

Weiterführende Literatur
Schwartzman, D.W., Volk, T. (2004). Does life drive disequilibrium in the biosphere?, Scientists Debate Gaia, edited by S. H. Schneider et al., The MIT Press, 129-135.
Schwartzman, D.W., Shore, S.N., Volk, T. and McMenamin, M. (1994). Self-organization of the earth’s biosphere—geochemical or geophysiological?, Origins of Life and Evolution of the Biosphere, 24, 435-450.
Volk, T. (2009). How the biosphere works, in Gaia in Turmoil: Climate Change, Biodepletion, and Earth Ethics in an Age of Crisis (eds: E. Crist and B. Rinker), The MIT Press, 27-40.
Volk, T. (1989). Rise of angiosperms as a factor in long-term climatic cooling, Geology, 17, 107-110.
Volk, T. (2006). Real concerns, false gods. Nature, 440, 869-870. (Review of The Revenge of Gaia by James Lovelock).

 

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